Montag, 16. April 2012

Vorzeitige Ferien

Etwa 2 Wochen bevor die Schulferien beginnen sollten, teilte man mir mit, dass nicht alle Kinder Ferien haben. Die Kinder der 6.-8. Klasse haben durchgehend Unterricht, zumindest am Vormittag unter der Woche. Mum soll in dieser Zeit frei haben und daher wurde mehr oder weniger von mir erwartet, dass ich in den Ferien da bleibe. Mir fiel im ersten Moment die Kinnlade herunter, da ich für den Zeitraum der Schulferien schon mit anderen Freiwilligen ein paar Unternehmungen geplant hatte, da fast alle in Schulprojekten arbeiten und frei haben. Aber ich wollte Mum und die Kids nicht im Stich lassen und sagte somit ersteinmal alles ab. 
Nach einem Gespräch mit der Schulleitung einigten wir uns darauf, dass ich eine Woche vor den Ferien und die erste Ferienwoche frei bekomme. Den Rest der Ferien (es sind noch eine oder zwei Wochen - das weiß niemand so genau) hat nun Mum frei. 

Der Vorteil an den vorverlegten Ferien war, dass ich an einer Reise mit dem Mountain Club of Kenya (MCK) teilnehmen konnte. Sie ging in den Norden Kenias, wo man mit öffentlichen Verkehrsmitteln schwer, bzw. (nördlich von Maralal) überhaupt nicht hinkommt. Schon am ersten Tag ließen wir das letzte Sück Teerstraße hinter uns und begaben uns auf das Territorium der Samburu - einer Volksgruppe Kenias, die noch sehr ursprünglich lebt. Von diesem Tag an begegneten uns maximal 1-3 Fahrzeuge pro Tag! Meist Trucks oder Jeeps.
Die Häuser der Samburu bestehen größtenteils aus Zweigen, Pappe, Stoffresten und den Plastiksäcken in denen sie von Hilfsorganisationen wie UNICEF, Welthungerhilfe und anderen Nahrungsmittel erhalten.

Frauen und Männer tragen oft kiloschweren Schmuck um den Hals und auf dem Kopf. Weiße kommen fast ausschließlich in die Gegend, um Hilfsgüter herzubringen. Daher ist das Denken, dass Weiße viel Geld haben und genug haben um jedem hier etwas abzugeben noch stärker spürbar als in allen anderen Gegenden, in denen ich bisher war.

Da das Land der Samburu größtenteils Wüstenland ist, leben sie überwiegend von der Ziegen- und Kamelzucht. Wasser ist oft mehrere Tagesreisen mit dem Kamel oder Esel entfernt. Dort wo Wasser ist, ist auch immer ein Dorf oder sogar eine Stadt (die in unseren Augen wie ein Dorf aussieht, aber 5000 oder mehr Einwohner hat). Da regelmäßig Hilfsgüter wie Reis, Bohnen, Mais, Milchpulver, und sogar Solarpanels, Wasserpumpen und -filter und anderes geliefert wird, bemüht man sich aber auch nicht um andere Nahrungsquellen.  Ein Ire, der mit seiner Frau und den 3 Kindern seit 3 Jahren in einem Dorf im Nordosten lebt hat uns erzählt, dass sich die Leute gegenseitig Kinder ausleihen um mehr Nahrung zu bekommen, wenn ein Truck von einer Organisation ankommt. Sie nehmen sich das Nötigste und verkaufen den Rest auf dem Markt. Die Wasserfilter, die eine Woche vor unserer Ankunft gebracht wurden, waren schon überall in den Geschäften zu sehen. 

Später führte uns unsere Reise zum Lake Turkana, wo die Volksgruppe der Turkana, Samburu und El Molo leben. Letztere ist mit 200 Menschen die kleinste in Kenia. Leider ist ihre Sprache vor ein paar Jahren ausgestorben und sie sprechen jetzt Kisamburu. 
Die Leute am See ernähren sich überwiegend von Fisch und trinken das Seewasser, was ihnen extreme Mangelerscheinung (sichtbar an furchtbar verfärbten Zähnen und verbogenen Knochen) verschafft. Aber sie bleiben dort, weil es ihr Land ist und sie dort hingehören. 
2 Tagesfußmärsche entfernt befindet sich der Mount Kulal. Ein etwas über 2000m hoher Berg auf dem es ausreichend Wasser, Strom, Handyempfang und damit verbunden auch ausreichend Nahrung gibt. Für uns ist es schwer zu verstehen, warum trotzdem verhältnismäßig viele Menschen unten am See wohnen, wo es nur hin und wieder ein paar Bäume und sonst viel Sand und Steine gibt. Unser Thermometer zeigt uns am Nachmittag 45°C an. Das Wasser im See ist salzig. Nur eine heiße Quelle in der Stadt Loyangalani, im Süden des Sees versorgt die Menschen in einem unüberschaubaren Umkreis mit Süßwasser. 

Was mich kulturell auch sehr beeindruckte war die Mischung der Gruppe. Es waren Italiener, US-Amerikaner, Engländer, eine Halb-Srilankaerin, zwei Schweizer und 3 Kenianer dabei, die allesamt in reichen Wohngegenden Nairobis wohnen und größtenteils in der Entwicklungshilfe, oder für riesengroße Unternehmen arbeiten. Viele der Teilnehmer wussten erstaunlich wenig über Kenia, dafür dass sie schon so lange hier sind. Als ich erzählte was ich hier mache und wie ich hier lebe waren kurzzeitig alle Ohren auf mich gerichtet und es gab viele Fragen und erstaunte Gesichter bei den Antworten. 
Zwar haben wir immer gecampt und hatten einige Nächte keine Toiletten und Duschen - trotzdem fühlte ich mich von Luxus umgeben. Die Nahrungsmittel, die wir dabeihatten entsprachen dem, was ich von zu hause gewöhnt bin und hatten nicht ein einziges mal annähernd etwas mit dem zu tun, was ich die letzten 7,5 Monate gegessen habe. Auch die Gespräche hatten natürlich völlig andere Inhalte und das Englisch, das wir sprachen war völlig anders, als das, an das ich mich hier schon fast gewöhnt habe. Ich war also für 11 Tage nicht nur geographisch in einer vollkommen anderen Welt!

Baio heißt dieser Berg, den wir nach 1000 Höhenmetern und über 5h Wanderung bei sengender Hitze erreichten. Der Abstieg war mindestens genauso schweißtreibend. Der Ausblick dafür atemberaubend!

Das sind keine Kornkreise, sondern Samburu-Dörfer, die mit Wällen aus Gestrüpp kreisrund abgesteckt sind. Innerhalb eines größeren Kreises gibt es oft mehrere kleine Kreise, die den Wohnraum einer Familie abgrenzen.

Gipfel des Mount Nyiru, ca. 2700m üNN. Während auf der ganzen Wanderung (wieder 1000 Höhenmeter Differenz) der Schweiß in Strömen floss und 4l Wasser geradeso genug waren, war es dort oben selbst mit der Fleecejacke noch sehr kalt. Im Windschatten eines Felsblockes war es aber gut auszuhalten und so konnten wir mit schöner Aussicht zu Mittag essen.
Neben den vielen kulturellen Eindrücken, durfte ich auch die unglaubliche Vielfalt des Landes mit atemberaubenden Kulissen genießen. Drei Wanderungen und ein Tagesausflug ins Dorf der El Molo sowie die vielen, vielen Kilometer im Auto waren trotz Hitze und Trockenheit ein Genuss. Einen genaueren Bericht der Tour schreibe ich in einen anderen Blog, denn die Ferien gehören ja nur indirekt zu meinem Freiwilligendienst. Was interkulturelle Erfahrungen angeht, habe ich in den 11 Tagen Reise jedoch so viele gesammelt, dass ich sie euch Lesern nicht vorenthalten wollte! 

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